Mitte Mai versandte der Vorstand der Illustratorenorganisation den Aufruf den Heidelberger Appell zu zeichnen (d.h. eine Bundestags-Petition zu unterzeichnen).
Das auslösende Skandalon war der laxe Umgang mit der Text-Urheberschaft im Rahmen des Projekts Google Books. Der Ton des Appells deutete darauf hin, daß uns die Vorgänge als Illustratoren ebenso träfen wie andere Autoren und Urheber.
Eine kleine Recherche enthüllte allerdings, daß in „Google Books“ vornehmlich wissenschaftliche Texte zugänglich gemacht werden, insbesondere längst vergriffene Werke verstorbener Autoren.
Roland Reuß, der Urheber des „Appell“, entpuppt sich als Literaturwissenschaftler, dessen Büchlein über Heinrich Heine unvollständig und falsch zugeordnet in Google Books auftaucht. Er fühlt sich – zu Recht – in seiner Leistung angegriffen, denn genau in dieser Genauigkeit liegt wissenschaftliche Leistung, insbesonders in einer behaupteten Wissensgesellschaft, die eine Meritokratie anstrebt.
Die Kritik an Google Books vermengt Roland Reuß, der Initiator des Heidelberger Appells, jedoch auch gleich mit einem Angriff gegen die Open-Access-Initiative und nun wird deutlich wessen Interesse hier tatsächlich vertreten wird. (Ich vermute hier ausnahmsweise Absicht und Verschwörung!).
Denn bei der Open-Access-Initiative geht es eigentlich um eine Selbstverständlichkeit: Ergebnisse der deutschen (und europäischen) Forschung werden i.d.R. aus Steuermitteln finanziert. So sollten diese Ergebnisse auch allen Bürgern frei zur Verfügung stehen, auf jeden Fall anderen Studenten und Forschern aus dem Wissenschaftsbetrieb. Jetzt wird mancher fragen “ aber ist das denn nicht so?“… Nein. leider nicht. Tatsächlich veröffentlichen viele Wissenschaftsautoren in Verlagen unter Vertragsbedingungen bei denen das Wort „geistiges Eigentum“ eine völlig neue Bedeutung gewinnt. Das geht so weit, daß die Unibibliotheken die Veröffentlichungen bei den Verlagen kaufen müssen und der Inhalt der Forschung nicht digital zugänglich gemacht werden darf!
Amerika hat dahingehend ein völlig anderes Selbstverständnis: was der Steuerzahler zahlt, hat ihm auch zugänglich gemacht zu werden. Als ein Beispiel kann man GPS nennen. Ursprünglich als rein militärisches Projekt geplant, wurde vor dem Kongreß (oder dem Senat? ) die Öffnung für die Public Domain erzwungen. Und genau so, wie ich – hier in Deutschland – mit meinem iPhone die Navigationsfähigkeiten Ronald Reagans Starwarsprojekt nutzen darf, kann ich Millionen amerikanischer Wissenschaftspublikationen im Internet durchforsten.
Was hat es also mit dem „Heidelberger Appell“ wirklich auf sich? Ich behaupte, daß es sich um den verschleierten Versuch handelt fundamentale gesellschaftliche Prozesse, die durch die Erfindung des PC und des Internets entstanden sind (siehe auch geistige Allmende) zu stoppen und Geschäftsmodelle zu schützen, die seit einem Jahrzehnt überholt sind und für die man keinen kreativen Ersatz fand.
Als Vergleich drängt sich geradezu der Untergang der Musikindustrie an. Wohlgemerkt: der Untergang der Industrie – nicht der Musikproduktion. Es kann kaum einen Zweifel geben, daß heute mehr unterschiedliche Musik produziert und konsumiert wird als noch vor zehn Jahren. Was es heute nicht mehr gibt, sind die Super-Acts wie weiland die Rolling Stones oder die Beatles, die alleine 50% der Gesamtumsätze eines Labels erwirtschafteten. (Siehe auch Christian Schlüters interessanten Kommentar zur Absage der Popkomm Times Mager: Alles Lüge)
(Für die Erklärung dieses Phänomens lese man bitte The Long Tail von Chris Anderson)
Die Debatte um die Verteidigung der Urheberrechte ist demnach verlogen, jedenfalls so, wie sie von den großen Musikverlagen geführt wird. Tatsächlich geht es um die Bewahrung der Pfründe (musikalisch) untalentierter Parasiten, die heute darüber weinen, daß sie nicht mehr benötigt werden. Das ist nicht anders, als Kurpfuscher, die die Erfindung des Penicillin bekämpfen wollen.
Was geht uns als Illustratoren das alles nun an? Wenn ich’s recht bedenke – erstmal gar nichts. Soweit ich die verschiedenen Diskussionen verfolgt habe, sei es in den IO-Foren, sei es in Gesprächen auf Stammtischen und mit Kollegen, besteht unser Problem nicht in der Verletzung unserer Rechte. So etwas kommt sicher vor, aber wir haben in der BRD eine recht urheberfreundliche Rechtsprechung und ich beobachte eher, daß sich niemand traut begangene Rechtsverletzungen zu verfolgen. Es mangelt also an Zivilcourage und Selbstbewußtsein unsererseits. Und vielleicht auch einer Rechtsschutzversicherung, die speziell auf uns zugeschnitten ist. (In diesem Zusammenhang plädiere ich für einen IO-eigenen Prozesskostenfond.)
Unser eigentliches Problem besteht darin von unserer Arbeit leben zu können. Bevor wir uns in Diskussionen über mangelndes Rechtsbewußtsein bei Google verzetteln, ginge es zunächst mal darum (insbesonders bei den Verlagen) einen Mindesthonorarsatz zu etablieren. Da liegt der Hase im Pfeffer. Und vielleicht sollten wir uns einfach an den Gedanken gewöhnen, daß es ein Zeichen von Professionalität ist, bestimmte Auftragsfelder nicht zu bedienen, weil das chinesische 0-8-15-Illustratoren besser (weil billiger) können.
Worum wir uns kümmern könnten, wäre ein Gegenstück zu iTunes zu erfinden – ein Selbstverlag der Autoren, Illustratoren, Zeichner, Künstler. Im Moment ist die Situation so, daß man meist das Gefühl hat, daß der Schwanz mit dem Hund wedelt. Es gibt kaum mehr den Verlag, der an „seinen“ Autor oder Künstler glaubt und ihn fördert und begleitet. Ganz im Gegenteil habe ich erlebt, daß „mein“ Verlag mir sofort mit Schadensersatzklagen drohte, als er vermutete ich wolle oder können meine Vertragsverpflichtungen nicht erfüllen. (Mir drohten Schadensersatzklagen in Höhen von € 10.000,- bis 30.000,- bei einem erwarteten Honorar von max. 1.800,- bei drei Auflagen) Wir haben keinen Einfluß auf das Marketing, das Konzept, und damit auf die Verkäufe – warum sollen wir uns mit 50 Cent pro verkauftem Buch abspeisen lassen? Wieso sollen wir als Illustratoren ein Risiko mittragen, das wir nicht beeinflußen können?
Ein Selbstverlag stellte in dieser Hinsicht die Verhältnisse auf die Füße. Heutzutage ist das Risiko ein Buch oder ein Magazin zu veröffentlichen sehr überschaubar geworden. Das Marketing können wir selber übernehmen – oder überlassen das anderen, die an den Verkäufen beteiligt werden. Ist unser Konzept verkäuflich, wird es ein kommerzieller Erfolg. Aber auch „ambitionierte“ Projekte finden so ihr Publikum – auch Projekte, die sonst nie einen Verleger gefunden hätten.
Mehr im nächsten Teil:
Was müßte solch ein Selbstverlag zur Verfügung stellen:
Eine Marke. ISBN-Nummern. Einen Marktplatz: Autoren, Illustratoren, Lektoren, Graphiker kommen zusammen.
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